Nellis und Janas großes Abenteuer

Zehnte Woche

9. Mai

Ich hasse Abschiede! Wie gestern schon angemerkt. Austausch wäre bestimmt viel effizienter, wenn man beide Jaegers zusammen verschickt. Dann hat man auch nicht den Nachteil, dass die ein paar Tage wegen Selbstmitleid/Heimweh oder sonstiger negativer Schwingungen für produktive Arbeit ausfallen :)

Wenigstens kann AJ zuhause meinen fahrerischen Ruf bei Eric wiederherstellen, nachdem der sich nicht mehr auf die Straßen Utahs getraut hat, weil AJs autohassende Frau da unterwegs ist — nur darauf aus, sich und das Hassobjekt in den nächsten Graben zu befördern. Nicht, dass die jetzt Autoloverin wäre, aber mein Amischlachtschiff und ich fahren sogar Interstate, ohne schlimm aufzufallen. Und AJ döst dazu. Mehr Vertrauen kann man sich doch nicht wünschen :)

Das mit dem Produktionsausfall ist auch kein hypothetischer Herzschmerz oder so, sondern pure Meetingmania. Wer, bittschön, setzt denn schon Meetings für acht Uhr morgens an? Danach kommt dann wieder eins, und haste nicht gesehen hier noch eins und da noch zwei. Grmpf! Ich freu mich schon auf die Meetingfaulen in N. Scott anscheinend auch :)

10. Mai

AJ ist heil wieder Zuhause und ich immer noch kaputt vom Frühaufstehen. Ausserdem ist hier wieder typisches Wüstenwetter: Wolken knapp auf Bodenniveau und nix als Regen. Irgendwie war ich so dusselig, dass ich als Geisterfahrer aus der Novellausfahrt wollte ... jetzt bin aber auch ich an einem Stück wieder im Hotel. Heisse Campbell's Soup zum Warmwerden, einen schönen Krimi (unseren 37. Dick Francis) zum Einschlafen und ein wollig warmer Fleeceanzug. Herz, was willst mehr? Schreiben jedenfalls nicht. Bin absolut geschafft. Bis morgen dann.

11. Mai

Glaubt es oder lasst es bleiben: Hier in Provo sind die Berge weiß mit Schnee. Im Mai! Ich kann keinen Unterschied zum März feststellen. Das Tollste dran, meine Winterklamotten hat mein lieber Mann schonmal nach Hause genommen, damit ich unter meinen Koffern nicht zusammenbreche. Tralala. Dummheit wird sofort bestraft ...

Auf der Arbeit zuhause probieren sie neue Tools aus und hier auch. Ergo erstaunt mich das, was die Leute hier tun und mir wird die Kinnlade runterfallen, wenn ich wieder zuhause bin, was ich alles nachholen muss. Aber mit 30 ist man ja noch nicht zu alt zum Lernen :) Nur die Augen machen weiterhin einen auf Rebellen und tun mir abends mehr weh denn je — dafür kann ich aber anscheinend mein Cortison halbieren. Toll, zwar nicht ausser Puste, dafür aber blind wie ein Maulwurf? Notschlachtung? Ne, lieber nicht :)

Ich will schließlich noch nach Hause und ins Nakuk und den Nürnberger Sommer genießen. Und wieder bei dem Wort "Fortbewegungsmittel" an U-Bahn, Fahrrad oder meine Füße denken und nicht an ein sprithungriges (soll wohl eher durstiges heissen) Auto ... Schöner Traum — und in vier Wochen ist er schon wahr!

12. Mai

Provo bricht alle Rekorde: So viel Regen habe ich selbst im Bergischen noch nie erlebt — und die sind bekannt für ihren Regen. Und so wunderschön imposante Schlechtwetterwolken im Wechsel mit dem unschuldigsten Sonnenschein, den man sich denken kann, hab ich ausser in NZ auch noch nirgends gesehen. Ausserdem, wie gesagt, es liegt noch Schnee (naja, auf ein paar Tausend Fuß hoch, aber immerhin mehr als wir den ganzen April über hatten). Kein Wunder, dass die Amis nicht an Global Warming glauben, wenn es bei ihnen im Mai noch schneit.

Was das angeht, hat Robert Redford aber ein paar wichtige Mayors der Gegend in Sundance zusammengetrommelt, um ihnen mal einzutrichtern, wie das alles funktioniert. Wenn es nicht so den Geruch von Schimpfwort hätte, könnte man ihn zum Ehren-Grünen ernennen ;)

Die Arbeit lichtet sich langsam, und die Perspektive, das sauber hinterlassen zu müssen, hilft mir dabei, ein anständiges Tagespensum runterzuschrubben. Allerdings machen meine Augen immer weniger mit. Ich kann mich seit dem Wochenende an keinen Abend mehr ohne dröhnende Kopfschmerzen erinnern :( Da stimmt was nicht ...

Irgendwann gegen Ende meiner Tage hier muss ich eine Installvorführung geben mit VNC, SLP und allem Tralala. Noch weiss ich nicht, was von mir erwartet wird, aber es wird bestimmt lustig. Vor allem, weil ich selber halb blind bin, was so richtig ausgefuchstes Zeug angeht. Wir werden wohl alle was zu Lernen haben an dem Tag. Z.B. wie man mit einem Beamer umgeht hier ... AJ hat's gut, der ist getürmt, bevor er solche Stunts aka Installfest vollführen musste. Ich will auch!

13. Mai

Hastenichtgesehen ist wieder eine Woche rum. Mal sehen, wie ein Wochenende ohne organisierte AJ-Sightseeing-Belustigungs-Kurzurlaubs-Tour wird. Das Wochenendwetter hätten wir vor einer Woche haben sollen, es wird wunderbar sonnig. Ja, ich kann wieder Berge sehen, bis oben hin und hübsch eingezuckert. Heute morgen hat man nur den unteren Teil der Berge gesehen, eine Wolkendecke drüber und eine Sonne durch die Wolken. Ab und zu sind ein paar Strahlen durchgesickert und dann sah es aus wie in irgendeinem Historienschinken, wenn wir darauf vorbereitet werden, dass jetzt was Bedeutsames passiert (z.B. Moses die 10 Gebote diktiert kriegt). Absolut irre und fast ein wenig kitschig.

Klettereien auf das Y sollte ich jetzt in diesen Tagen lassen, da kullern laut Tageskäseblättchen Felsblöcke runter und demolieren Leuten hier die Hinterhöfe. Ich will nicht demoliert werden — aber ein bisschen im Provo-Canyon rumlaufen, das werde ich wohl tun. Lange Autofahrten will ich meinen Augen nicht zumuten. Es ist auch mal nett, keine Kopfschmerzen zu haben.

Zu der Maxime passt aber mein anderes Vorhaben ganz und gar nicht, nämlich endlich die zwei CoolSolutions-Artikel fertig zu schreiben, die ich denen versprochen hab und mir zwei Bücher zu erjagen, über die ich eben in einem anderen Blog gelesen hab. Die Bloggerseiten der ZEIT sind sowas wie ein schwarzes Loch. Man kann drin hängenbleiben. Manche Sachen sind furchtbar seltsam, aber dann zweigt man immer wieder wohin ab, wo es nett ist :)

Langsam aber sicher ist es mit meiner "Entrückung" von den Zuständen in N vorbei. Mehr und mehr ertappe ich mich dabei, die neuesten Kniffe auszuprobieren und mit den anderen mitzufiebern, während die wieder mal alles über den Haufen werfen. Hier werfen sie nur ein bisschen über den Haufen, aber sie machen mehr Wind drum :) Deshalb will ich ja wieder heim ... . Scott hat jetzt einen Pass und seine Unterlagen ausgefüllt. Total gemein, ich musste vieeeeeeeeeeeeeeel mehr Papierkram erledigen, bevor ich ins Gelobte Land durfte. Das kann gar kein gelobtes Land sein, die Schokolade taugt nicht und es gibt kein Schweppes Bitter Lemon. Jedenfalls freut er sich mindestens genauso auf uns wie wir uns auf ihn. Das find ich ausgesprochen fein.

Noch dreieinhalb Wochen wird AJ am Esstisch nur von den Kulleraugen seines neuen Minis (ein Mini-Mini, kein richtiger) angestaunt — danach darf er wieder in meine kristallklaren, bergseeblauen Guckerles sehen. Mit der Ruhe ist es dann vorbei, aber das gehört sich auch so. Ich freu mich jedenfalls drauf!

14. Mai

Heute morgen hat irgendein IT-Genie den Internetserver fürs Hotel kaputtkonfiguriert. Hier sitzen jetzt alle auf dem Trockenen. Mal sehen, ob die es vor Montag wieder hinbringen oder ob ihr es mir einfach glauben müsst, dass ich dieses Wochenende gebloggt habe. Faul sein ist ist klasse. Draussen ist es superheiss (die Utah-Version von 25 Grad Celsius) und mein Lenkrad kann man nur noch mit Handschuhen anpacken. Irgendwie braut sich auch ein Gewitter zusammen — es gab schließlich nicht genug Nass die letzten Tage :)

Heute morgen hab ich den Tag genüsslich angehen lassen und bin zu Borders gefahren, um die Bücher, von denen ich es gestern hatte, einzukaufen, um eventuellen Langeweileattacken vorzubeugen. Ende vom Lied, ich bin 90 Dollar ärmer und habe ausser einem dieser Bücher noch ein paar andere Dinge eingekauft. Zum Beispiel drei CDs :) Brynne wird sich freuen am Montag, können wir wieder schwelgen. Die tollste Entdeckung ist eine Platte namens "Missa Mexicana" mit dem Harp Consort und ein paar tollen Sängern, die eine mexikanische Barockmesse aufführen. Das ist — ohne Scheiß — so schön, dass einem die Spucke wegbleibt und mir fast die Tränen kommen.

Die zweite ist eine Sammlung von Telemann-Flötenkonzerten. Nicht unschön, aber nicht so weltenerschütternd wunderbar wie die Mexi-Messe. Bei der dritten Platte bin ich mir noch gar nicht sicher, ob sie mir gefällt. Uralte Musik aus dem 13. Jhdt gemischt mit Pärt und Konsorten. Mal sehen, ob sie mich noch überrascht. Ein paar Sachen drauf gehen ins Ohr und ein paar andere sträuben sich noch. Hab ein ganzes Wochenende Zeit. Aber im Moment bin ich noch total entrückt von dem mexikanischen Zeugs. Wahnsinn. Ich will unbedingt zu meinen ganzen Instrumenten wieder nach Hause, Vivaldi malträtieren und mich freuen, wenn es mal klappt. Und die Klarinette wartet auch noch auf mich.

Besser, ich höre jetzt mal auf mit der Schwärmerei. Ach ja, das Credo dieser Messe ist das allerschönste, was ich in der Richtung jemals gehört habe. Das wollte ich nur noch sagen, bevor ich mich ans Schriftstellern für die CoolSolutions mache :)

Internet immer noch kaputt, aber der Telemann flötet sich grade in mein Ohr und mein Herz. Da sind Konzerte mit Blockflöte und Oboe bei, die sind nicht mehr wirklich mit Worten zu beschreiben. Man kriegt einen richtigen Dusel, weil einen die Musik berauscht. Ob Musik als Rauschmittel in Mormonistan zugelassen ist, bin ich mir nicht sicher. Aber als Nicht-Mormone ist mir das auch herzlich gleichgültig :)

Wo wir grade bei Rauschmitteln etc. sind: Sollte ich jemals wieder herkommen, was ich hoffe, weil da noch ein paar Ecken Nationalpark noch nicht beguckt und fotografiert sind, bringe ich mir eine Mini-Espressokanne mit und den besten Kaffee, den ich finden kann. Hier ist das mit dem Kaffee ein Trauerspiel und selbst im liberalen Moab ist das nicht wirklich zu machen. Und normaler Brühkaffee ist nun mal nix, was man zum Vergnügen trinkt. Mal vorausgesetzt, man kriegt ihn. Und für jeden Kaffee in einen Buchladen mit Starbucks zu gehen endet im finanziellen Ruin, weil Buchladen. Die Espressokanne ist da die billigere und befriedigendere Lösung, glaube ich :)

15. Mai

Selbes Spiel wie gestern. Das Internet hat Sonntagsruhe. Vielleicht kommt es so wie gestern zum Abend wieder, aber das bezweifle ich. Könnte ja sein, dass der Admin den Sonntag heiligen muss. Nun ja. Ich hab auch nicht viel zu berichten: Faulenzen, Faulenzen und nochmal Faulenzen und im Stillen meinen Mann beneiden, der heimlich zuhause zum Gourmetkoch wird und mit Salatkreationen experimentiert. Meine kulinarischen Experimente sind sehr begrenzt. Eigentlich nicht existent. Noch ein Grund, bald wieder heimzufahren.

Diese Woche ist StarWars Woche :) Die SUSE-Leute sind erst in vierzehn Tagen dran, aber wenigstens brauchen die sich dann nicht am ersten Tag um die Sitze zu schlagen. Hier wird wohl ein halber Arbeitstag damit draufgehen, sich dahinzubequemen, zu warten, bis alle ihre Jumbopackung Popcorn haben und sich auf das Gemunche als Soundtrack zu freuen und dann endlich irgendwann den Film zu sehen, auf den alle ausser einem selbst hingefiebert haben. Seltsame Welt, das. Aber immer noch besser als Arbeit. Sehr viel besser sogar :)

Wochenendfotos gibt es heute keine. Da gab es letzte Woche genug von :) Beim Faulenzen lassen sich so schlecht epochemachende Fotokunstwerke erschaffen. Vergesst es :)

Was ich gestern noch loswerden wollte: Provo hat den Preis für die least-stressful Stadt bekommen. Ob die damit andeuten wollen, dass es die langweiligste Stadt ist? Kann irgendwie nicht sein, Wellington (UT, nicht NZ!) hätte da den Ehrenpreis der Jury verdient gehabt. Das war da so herzzerreissend trostlos, dass man annehmen muss, dass 95% der Einwohner chronisch depressiv sind. Da helfen auch gleich zwei LDS Kirchen im Ort nichts. Wozu braucht ein Ort von ein paar Hundert gleich zwei Kirchen? Und dann noch von der gleichen Sorte?

Die Zeit ist ein sehr seltsames Wesen. Auf der einen Seite kommt es mir ewig vor, dass AJ mich verlassen hat (ehem, Provo, nicht mich!) und auf der anderen Seite galoppieren die Tage inklusive Wochenende nur so dem ersehnten Ende entgegen. Sehr seltsam. Dann ist es auch nicht unbedingt hilfreich, wenn man Bücher über Zeitreisende liest.

"I don't know half of you half as well as I should like; and I like less than half of you half as well as you deserve."

Bilbo Baggins in "The Fellowship of the Ring"