Provo März bis Juni 2005

Nellis und Janas großes Abenteuer

Dreizehnte Woche

30. Mai

Die letzte ganze Woche hier bricht mit Krach und Radau an. Selten so ein tolles Gewitter gesehn und gehört. Picknick bei Brynne ist abgesagt, ich bleibe hier und hole die vier Stunden Schlaf nach, die ich diese Nacht nicht gekriegt hab. Deshalb wird hier heute auch nicht wirklich ein epischer Roman zu finden sein. Geschweigedenn Fotos. Tut mir leid ...

Hehe, es gibt noch einen Nicht-Star-Wars-Jünger in der Jaegerfamilie. AJ scheint der Narniatrailer vorher auch besser gefallen zu haben als der eigentliche Film. So ist's recht. Ich freu mich jedenfalls auf Weihnachten! Ist ja nur noch sechs Monate und ein bisschen was hin.

So, jetzt kommt die erste Mütze voll Schlaf, danach ein Mittagssnack und dann die zweite Portion Schlaf. Danach wird noch ein bisschen geschriftstellert, wieder gepennt und dann bricht auch schon mein letzter Dienstag in Utah an. Jiphee mit Abstrichen ...!

31. Mai

Nix Neues von meinem achtbeinigen Untermieter. Der Frontdesk weiss Bescheid, war aber nicht sonderlich gerührt. Scott gibt derweil so gute Tipps, Schuhe auszukippen und Decken auszuschlackern — aber nein, beisst ja nur bei schlechter Laune und wenn sie sich bedroht fühlt. Ich hab jedenfalls beschlossen, mich nicht bedroht zu fühlen. Haltet mal die Daumen :)

Arbeiten macht irgendwie nicht mehr wirklich Spaß. Weltveränderungen kann ich keine mehr anregen und der Kleinkram ist fertig. Kriegt man die Zeit halt mit mehr oder weniger sinnvollen Meetings rum oder arbeitet schon mal wieder ein bisschen am SUSE-Kram. Damit der Emacs nicht einrostet ...

Wetter ist seltsam. Morgens kalt, aber hoffnungsvoll, nachmittags pottenheiß und abends schwül und verhangen. Ob ich da noch Abschiedsfotos hinkriege ist mal fraglich. In einer Woche um diese Zeit fliege ich grade auf Europa an — warum geht mir bloß dieses dusslige Grinsen nicht aus dem Gesicht zu wischen?

Eben hatte ich eine Runde Kapitalismus pur, einmal WalMart und zurück. Was ein Moloch! Man kann da aber interessante soziale Studien betreiben. Ähnlich wie bei uns bei Aldi, Lidl und Konsorten. Hab ein tolles Schild gesehen. Da stand drauf "PEDS XING". Na, was heisst das wohl? Rätselt mal schön, ich mach jetzt Yoga — trotz potentiellem Witwenbesuch. Was sein muss, muss sein.

1. Juni

AJ, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ansonsten? Hmm, Trish und ich haben den Rekord im Kinderkleiderkaufen gebrochen. 10 Minuten! Wetter nach der Devise: "as nasty as you can get" und auf der Arbeit nur noch Nachbeben bzw. verzweifeltes Warten auf andere. Spannende Dramen gibt es aus meinem Leben derzeit absolut nicht zu berichten. Deshalb gehe ich nahtlos zum Yoga über. Vielleicht gibt es ja morgen Spannendes zu berichten. Geschichten wie "Als ich versuchte, Hefe und feingemahlene Mandeln im Albertson's oder WalMart zu kriegen". Stay tuned!

2. Juni

Bingo, nur noch zwei Tage Arbeiten! Ich versteh nicht, wo meine Zeit hin ist. Wirklich nicht. Direkt unglücklich bin ich darüber aber auch nicht. Dummerweise muss noch so viel in diese zwei Tage rein. Zum Beispiel Elizabeth ans CVS anzuschließen. Hat uns beide ein paar graue Haare gekostet. Aber mehr dazu sage ich hier nicht. Zensur :)

Brynne und Elizabeth hatten die geniale Idee, zum Mittagessen in die Stadt zu fahren. Jetzt bin ich endlich bei Guru's gewesen und ärgere mich im Stillen, dass wir nicht schon öfter da waren. Einfallsreich, lecker und cooles Ambiente. Nur sollte man nicht versuchen, mit der Miles & More Karte zu bezahlen :)

Elizabeth hat Spaß

Weiss nicht mehr, was da so lustig war, aber wir hatten wohl Spaß. Und — nicht dasss ich von Elizabeth ablenken wollte — aber das im Vordergrund ist mein Salat. Asia Chicken mit massig Obst und superlecker Sauce. Hmmmmmmmmmmmmm!

Brynne wartet auf den Anpfiff

Brynne geht zum Angriff über. Ich nach diesem Foto auch. Jummy!

Die Inneneinrichtung war eine Mischung zwischen MTV-Studio und New-Age Kram. Sehr seltsam und total unerwartet in einer dermaßen biederen Stadt wie Provo. Aber so unbieder, dass sie am Sonntag offen hätten, sind die dann doch nicht. AJ hat noch beste Erinnerungen dran, wie wir da vor verschlossener Tür standen.

Dieses verfressene Gerede erinnert mich daran, dass ich meine Vorräte noch ein bisschen dezimieren muss. Der Kühlschrank hat schon ein Echo, aber ich hab noch ein erschreckendes Arsenal an Campbell's Soup, Maiskonserven und Waschmittel. OK, das Waschmittel werde ich wohl nicht essen und das Insektenspray mit extra DEET wohl auch nicht, aber trotzdem, ich muss mich ranhalten ;)

In diesem Sinne — ich muss mich jetzt der Futterlogistik widmen und vorher noch ein bisschen Yoga machen. Au revoir!

3. Juni

Vorletzter Tag vorbei. Jetzt muss ich nur noch die Augen zumachen, "Hex hex" sagen und schwupps, bin ich wieder zuhause. Fast jedenfalls. Oder es kommt mir so vor. Gestern hab ich eine weltbewegende Entdeckung medizinischer Natur gemacht. Naja, sie bewegt eigentlich nur meine Welt, aber immerhin.

Als die Doktors in Berchtesgaden meine VCD auslösen wollten, hätten sie nur den Pink Grapefruit Saft vom Albertson's nehmen brauchen. Einfach, schnell und effizient. Macht den Hals dicht, dass er wehtut. Hat mich sehr fasziniert und ist reproduzierbar. Bah, und stattdessen muss man Diesel und Meister Propper inhalieren. Pfui! Naja, wechsel ich halt trinkmässig wieder zu Ginger Ale :)

Gleich gehe ich die Zutaten für die Backorgie erjagen und dabei meine letzten Papierdollars liquidieren. Bin mal gespannt, ob ich meine gemahlenen Mandeln noch finde, oder ob ich Scott's schwachbrüstige Mühle ruinieren muss. Aber das ist es auch schon, was es an Neuigkeiten von der Provofront gibt.

Vielleicht das noch: Ich hab mich hier so verd...t gut eingelebt, dass ich mir kaum vorstellen kann, wie das Leben zuhause so spielt. Ohne regelmässiges IMsen und Telefonieren hätte ich wohl vergessen, dass ich wieder nach N muss. Eventuell wäre mir aufgefallen, dass es hier kein gutes Brot gibt, keinen Rotwein zur DVD und von Schokolade nicht zu reden. Aber sonst ... Naja, es gibt hier so viele prollige Riesentrucks und gruslige politische Auffassungen. Wäre mir vielleicht dann doch mal irgendwann negativ aufgestoßen :) Schönes letztes Wochenende allen Bloglesern!

An der Backfront zeichnen sich dramatische Entwicklungen ab — große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus:

Noch keine Schnecken

Ich bereite mich schlaftechnisch wohl wieder auf Europa vor. Proaktiver Jetlag. Oder hat man schon von Leuten gehört, die um halb 8 schlafen wollen?

4. Juni

Glaubt es oder lasst es bleiben. Mir wird es schwerfallen hier wegzugehen. Hätte ich mir selber nicht geglaubt bis heute morgen. Wollte eigentlich nochmal den Provo Canyon hoch, aber irgendwie hat mich dann die Depri gepackt (und die Migräne) und ich konnte/wollte nicht mehr. Mir ist das Herz jetzt schwerer als es mir beim Ankommen und Feststellen, wie lange 13 Wochen sind, war. Die spinnt, die Römerin.

Aber eins ist hier wirklich dumm. Es gibt keine gemahlenen Mandeln. Weder beim Albertson's noch beim WalMart. Hoffentlich hält Scott's Muehle das aus ... Ich frage mich, womit die Leute Weihnachtsplätzchen backen wollen. Aber vielleicht backen die die gar nicht. Man kann sie ja soooo bequem kaufen.

Doch ganz gut, wieder nach Hause zu kommen. Gleich ist noch ein allerletztes Mal Waschtag — dann sind alle meine Quarters weg und ich muss am Mittwoch nicht pausenlos Waschmaschinen anschmeissen. Stattdessen kann der AJ dann seine komatöse Frau zum Inlinerkaufen schleppen, damit sie nicht aus Versehen vor 18 Uhr abends wegratzt und ihre innere Uhr durcheinanderwirbelt. Was soll's, ich hab schon ganz andere Jetlags ausgehalten — und mit ein bisschen Glück und guter Planung kommt da auch bald wieder ein NZ-Jetlag dazu :)

5. Juni

Back- und Packtag. Naja, für Franken ist das ja identisch. Sitze im Moment zwischen gepackten Koffern und übriggebliebenen Vorräten rum — trinke meinen letzten Schluck Ginger Ale auf amerikanischem Boden und warte, dass das Gewitter vorbeizieht und ich meinen Laptop wieder einzustöpseln wage. Das ist ein richtiges Weltuntergangsszenario draussen. Zwar immer nur ein paar Häuserblöcke weit, aber es sieht aus, als hätte Saruman wieder was zusammenbeschworen. Ich wünscht, ich wäre eben mein Beifahrer gewesen. Dann hätte ich jetzt ein paar 1 A Gewitterbilder.

Ich bin nur ich und müde noch dazu. Aber Bilder habe ich trotzdem noch ein paar. Packen hatte ich gegen halb 12 fertig und Mary und Scott wollte ich erst um 1 überfallen. Also gabe es eine allerletzte Tour de Provo Canyon in der tollsten Mittagshitze. Der Provo River ist ein reissendes Wildwasser geworden. Wer länger reinguckt, dem wird schwindlig.

Obelix ist mal eben Pause machen

Wenn der Stein nicht so bröselig wäre, sollte man meinen, dass Obelix am Werke war und das mal ein Hinkelstein werden sollte.

Harmloser Wildbach?

In der Mitte entspringt ein Flüß — besser nicht Baden.

Rafting? Irgendwer interssiert?

Sieht in echt viel dramatischer aus. Die Vorstellung, da drin Kanu zu fahren, macht mir Angst.

Unschuldig

Das wurde später mal ein Gewitter.

Baumleiche

Ein malerischer Zombie zum Schluss. Endgültig letzter Blick im Provo Canyon. Werde das Cruisen zwischen den Felswänden wirklich vermissen :(

Tja, im Hotel vorbeigesaust, Backzutaten eingepackt und ab zu den Rhoades :) Irgendwie hab ich mich total verkalkuliert. Jedenfalls sitzen Scott und Mary jetzt auf der Hälfte der Zutaten — und ihre ganze Küche duftet nach Zimt. Die Schneckenbäckerei selbst war ein Erlebnis. Der Hefeteig der robusteste, den ich jemals gemacht hab. Ein Mixer hat kapituliert und der andere passte nicht. Also hat yours truly rumgepanscht, bis ich einen Teigklops zusammenhatte. Und dass Milch lauwarm sein muss, halte ich ab heute für ein Gerücht. Diese Hefe hat den Turbo gezünet. Man sollte meinen, sie hätte nur auf ein bisschen Abschreckung gewartet.

Die Mandeln für die Füllung hab ich dann übrigens gestern doch handgeschreddert. Ende vom Lied: Zwei Bleche voll gut riechender Schnecklein. Wie die schmecken wird sich zeigen.

Mary und Scott sind total süß. Auf die Idee zu fremdeln kommt man bei denen nicht, weil man sich sofort wohlfühlt bei denen. Musste grinsen, als Scott sich für ihre kleine Küche entschuldigt hat. Dem werde ich unsere mal zeigen. Nach der Bäckerei zogen dann Hühnchendüfte durch das Haus. Lecker! So ein einfaches, aber wahnsinnig leckeres Flattertier hab ich selten essen dürfen. Auch wenn man von der Größe eher an einen Truthahn denken musste.

Nach dem Essen dann der Hammer: Hoopla spielen. Ist sowas wie Montagsmaler/Tivial Pursuit und Activity durcheinander. Zeichnen, Wortspiele und Pantomime. Hilfe, und das in einer fremden Sprache. War aber brüllkomisch :) Ging zum Glück nicht ums Siegen, sondern ums Spaß haben. Eigentlich wollten wir danach noch Master and Commander gucken, aber ich war sooo tot, ich musste mich trollen. Werde noch ein bisschen packen und dann ins Bett kippen.

Hab eine wunderbare Vokabel gelernt für Schleimer/Streber: "brown noser". Die damit verbundenen Assoziationen überlasse ich der geneigten Leserschaft dann selbst. Gehabt euch alle wohl und erwartet für den letzten Tag keine Purlitzer verdächtigen Zeilen. Morgen wird der stressigste Tag seit drei Monaten, denke ich.

"I don't know half of you half as well as I should like; and I like less than half of you half as well as you deserve."

Bilbo Baggins in "The Fellowship of the Ring"